Bierzipfel, Bischöfe, Bordellbesuche … – Interview mit einem Juristen über Seilschaften der Kirche in der Justiz

7. September 2019 | Von | Kategorie: Featured
Bild: wikimedia commons/public domain

Interview von Patricia Ehrenfeld

Der Gedanke aus einer aktuellen Betrachtung des Rechtslebens von Heinz Grill (siehe https://heinz-grill.de/spiritualitaet-rechtsprechung/), dass bei Münchner Gerichten Seilschaften am Werk seien, die mit kirchlichen und politischen Interessen verbunden sind, hat mein Interesse geweckt. Ich habe daher einen guten Bekannten, der selbst bei einer kirchlich besetzten Seilschaft Mitglied war, gefragt, ob er zu einem Interview bereit wäre.  

Das Interview wurde unter einem Vulgo-Namen gegeben, wie er in couleurstudentischen Verbindungen üblich ist und mit dem sich die „Bundesbrüder“ untereinander ansprechen (meist wird hierbei auf historische Namen aus der römischen oder griechischen Geschichte zurückgegriffen). Die nachfolgenden Schilderungen geben nicht nur einen ungewohnten Einblick in eine dem Normalbürger verborgene Parallelwelt unserer rechtsstaatlichen Demokratie, sondern machen auch die Spannung zwischen Individualität und gruppenhaften Korporationen anschaulich.

Jungspunde am Tisch mit alten Philistern

P: Du bist also quasi ein Insider von elitären Kreisen und „Entscheidern“, die sich gegenüber der Öffentlichkeit gerne bedeckt halten?

Cato: Nun, man darf sich das Ganze nicht allzu spektakulär vorstellen. Worüber ich berichten kann, ist nur ein relativ kleiner und spezieller Ausschnitt an akademischen Verbindungen, wie sie in Politik, Verwaltung und Ökonomie eben vertreten sind. Es gibt sicherlich noch andere und vermutlich gewichtigere Seilschaften wie etwa die Freimaurer, in deren Organisationsstruktur ich keinen Einblick habe und zu denen sich im Zuge meiner eigenen Verbindungstätigkeit kaum Berührungspunkte ergeben haben.

P: Wie kann man sich eine „Seilschaft“ vorstellen, die bei – an sich unabhängigen und dem Gleichheitsgrundsatz verpflichteten – Gerichten Einfluss nehmen kann, wie kann das überhaupt sein?

Cato: Äußerlich betrachtet wirkt das Ganze zunächst durchwegs konventionell oder wie man so schön sagt: „gut-bürgerlich“. Im Biertrinken und im Knüpfen von Freundschaften und Beziehungen werden wohl die wenigsten etwas Verwerfliches sehen. Und bekanntlich schaden Beziehungen ja nur dem, der sie nicht hat.  

P: Aber man trinkt dort nicht nur zum Spaß, sondern um Beziehungen zu knüpfen?

Cato: Natürlich, als junger Student hätte man mit seinen Abenden ja durchaus anderes anzufangen als mit älteren Herren des Establishments zusammenzusitzen, deren Gemeinschaft sich selbst „Philisterium“ nennt. Man sitzt also schon als Jungspund mit alten Philistern zusammen, die in der Gesellschaft hohe Positionen innehaben. An „Kommersen“ [Anm. d. Verf.: Bezeichnung für rituelle Festivitäten mit Umtrunk im Verbindungskontext] und Abenden auf der Konstante  [Anm. d. Verf.: als ‚Konstante‘ wird das Vereinshaus einer Verbindung bezeichnet ] macht man dabei scheinbar nicht viel anderes als auch bei anderen Vereinen abläuft. Dennoch knüpft man bleibende Bande fürs Leben, über die ein durchschnittlicher Bürger nicht verfügt. Diese Bande werden einem in der späteren Berufslaufbahn helfen, die Korporationsmitglieder fühlen sich ihnen bis zu ihrem Lebensende verpflichtet. Man hat ja der Verbindung und den statutengemäß festgeschriebenen Verbindungsprinzipien im Zuge ritueller Handlungen die Treue geschworen. Eines dieser Verbindungsprinzipien lautet etwa „amicitia“, das ist das lateinische Wort für „Freundschaft“.

P: Unter Freundschaft verstehe ich, dass man aus persönlicher Zuneigung und Interesse ein gewähltes Vertrauensverhältnis zu einem anderen Menschen eingeht. Ist eine „amicitia“-Freundschaft innerhalb der Seilschaft auch so zu verstehen?

Cato: Von dieser Perspektive habe ich das gar noch nicht betrachtet. Also, wenn man den Maßstab der Individualität anlegt, dann wird man dem natürlich nicht ganz gerecht. Man hat innerhalb der Verbindung zwar auch spezielle, individuell gewählte Freundschaften, aber die Verpflichtung hinsichtlich „amicitia“  bzw. der Korporations-Freundschaft betrifft eigentlich alle Verbindungsbrüder, auch solche die einem weniger sympathisch sind.

Bundesbrüder in „Bierseligkeit“

P: Wie läuft denn die Verbrüderung ab? Gibt es spezielle Rituale, durch welche sich die Verbindungsbrüder verbinden?

Cato: Ein wesentlicher Faden, der sich von Beginn an überall durchzieht, ist das Bier und die, wie es im Kommersbuch heißt: „bierselige“ Geselligkeit auf der Konstante. In dieser bierseligen Atmosphäre fühlte sich die Gruppe eins. Der Aufstieg vom „Spefuchs“ (von lat. spe = Hoffnung) zum vollwertigen Mitglied vollzog sich im Zuge ritualisierter Handlungen mit sogenannter Brandung, Burschung und dergleichen, wo z.B. alle anwesenden Kollegen einem das Gesicht mit einem angekokelten Korken anschwärzen dürfen oder wo mit einem Säbel die Kopfbedeckung, der sogenannte „Deckel“ durchgestochen wird, begleitet von entsprechenden Treuegelöbnissen mit auf einer Säbelklinge gehaltenen Fingern etc. Man darf sich das alles aber nicht zu streng vorstellen. Alle Comment-Regeln und Umtrunke bei Banketten, sogenannten „Kommersen“ und „Kneipen“, waren humoresk ritualisiert. Die erwachsenen Studenten und Akademiker, die während solcher Kommerse zum Wasserlassen auf die Toilette wollten, mussten sich etwa vom „Senior“, dem Vorsitzendenden der Corona, mit der Bitte „peto tempus!“ [Anm. d. Verf.: lateinisch – „Ich erbitte Zeit!“] ein Quantum an Bierminuten zuteilen lassen. 5 Bierminuten entsprachen 3 normalen Minuten. Wer sein Geschäft innerhalb dieser Zeit nicht verrichtete und über das Maß der Bierminuten zurückkehrte, bekam eine „Bierstrafe“, die wiederum irgendetwas mit Trinkfestigkeit bzw. dem Bier-Comment zu tun hatte. Es gab „Bierehre“, die man verteidigen musste etc. Eine der wichtigsten Chargen im Verbindungsbetrieb war der „Bierfuchs“, der dafür zu sorgen hatte, dass der Kühlschrank immer mit Bier gefüllt war.

P: Das Bier hat also anscheinend die Funktion, die Individualität herabzudämpfen und ein Gruppengefühl zu erzeugen.

Cato: Diese Funktion könnte man natürlich auch bei anderen Vereinen oder Bierzeltfesten feststellen. Bei unserer Verbindung hatte das Ganze jedoch einen viel verbindlicheren und organisierten Charakter. Das Bier wurde regelrecht rituell eingesetzt. Ausgestattet mit Couleurband und „Deckel“ (einer speziellen Kopfbedeckung), focht man am Bankett „Bierduelle“ und teilte mit Bundesbrüdern „Bierzipfel“, das sind kleine Medaillons mit in den Verbindungsfarben gehaltenen Bändern, die man in das Bierkrügel seiner Kollegen hängt und dann mit diesen Brüderschaft trinkt, sodann man sich den vom anderen geschenkten Bierzipfel an seinen Hosengurt hängt. Altgediente Mitglieder hatten oft opulente Büschel solcher Bierzipfel an ihrem Gurt baumeln, an denen sich die Freundschaften, die man quasi „in der Tasche“ hatte, anschaulich widerspiegelten.

Bierzipfel, Couleurband und Deckel (Foto: wikimedia commons-CC BY-SA 3.0-Charly1981/Embleme retuschiert)

P: Du hast erzählt, dass es sich bei diesen Verbindungen um reine Männervereine handelt?

Cato: Grundsätzlich ja. Frauen hatten zu unserer Verbindung keinen Zugang. Ich weiß nicht, ob sich das mittlerweile geändert hat, aber zu meiner Zeit durften Frauen lediglich als „Damenflor“ (flor = von lat. „Zierde“) bei diversen öffentlichen Festivitäten mit am Bankett sitzen. Es gab allerdings auch reine Frauenverbindungen mit eigener Verbindungstracht und abgewandelten Ritualen. Jede Verbindung zählte auch Pfarrer und andere kirchliche Würdenträger zu ihren Mitgliedern, unsere z.B. sogar den Bischof. Die standen uns in Sachen Trinkfestigkeit übrigens um nichts nach.

P: Solche Schilderungen erinnern mich eher an eine Gruppe Jugendlicher als an eine Runde Akademiker und Verantwortungsträger. Das Ganze klingt für mich recht inhaltslos.

Cato: Inhaltslos? Wir hatten schon Inhalte. Wir sangen gemeinsam Trinklieder aus dem Kommersbuch, darunter nicht nur das bekannte „Gaudeamus igitur“ und „O Alte Burschenherrlicheit“, sondern im Inoffizium [Anm. d. Verf.: dem Umtrunk nach offiziellem Ende eines Banketts] auch Texte wie „Trinkfest und arbeitsscheu, aber der Kirche treu, halleluja“. Im Kommersbuch finden sich auch jede Menge Lieder mit einem nach heutigen Maßstäben der Political Correctness wohl nicht mehr ohne Weiteres tolerierbaren Frauenbild.

P: Inwiefern?

Cato: Du würdest es vermutlich sehr derb finden, wenn ich Dir aus diesen Liedertexten jetzt eine Kostprobe gebe.

P: Auch die Bischöfe machten bei diesen „Kommersen“ mit?

Cato: Ja, und sie gröhlten auch die anzüglichen Frauenlieder aus dem Kommersbuch mit. Nachdem die Lieder verklungen und der Kommers „geschlagen“ war, gab es von einigen Ehrengästen nicht selten den Wunsch nach Bordellbesuch. – Nicht vom Bischof selbst, aber doch mitunter von einigen anderen ehrenwerten Würdenträgern.

P: Das klingt für mich wie eine ziemlich derbe Art der Verbrüderung.

Cato: Derb? Die „Alten Herren“ unserer Verbindung besaßen die feinsten Boutiquen der Stadt und schrieben als renommierte Journalisten Artikel in bundesweit erscheinenden Leitmedien. Nach solchen Umtrunk-Abenden mit dem Pfarrer und anderen kirchlichen Würdenträgern standen wir am nächsten Tag alle gemeinsam zur Standarte beim Gottesdienst, wenn unser bereits wieder ernüchterter Bundesbruder im schwarzen Talar am Altar stand und die heilige Messe zelebrierte.

P: Ihr standet Sonntags alle in der Kirche?

Cato: Natürlich, eines unserer weiteren Verbindungsprinzipien war „religio“. Mit Religion war hierbei natürlich nicht beliebiger freier Glaube gemeint, sondern Glaube im Sinne des Katholizismus bzw. der Kirche, der wir uns verpflichtet gefühlt haben.

Hermann Hesse als Augenöffner

P: Ich bin jetzt etwas verwirrt. Für mich wirkt das alles wie ein großes Durcheinander von Dingen, die nach meinem bisherigen Verständnis nicht zueinanderpassen: Besäufnisse, Frauenwitze, Religion, Bordellbesuche, Männerfreundschaften, Bierzipfel …  Was ist denn eigentlich das Ziel einer solchen Verbindung?

Cato: Kurz gesagt könnte man vielleicht sagen: Dass alles beim Alten bleibt. Dass die bestehenden Strukturen, in denen man es sich gut eingerichtet hat und von denen man profitiert, weiterhin erhalten bleiben. Man versteht sich als konservatives Element, was ja nicht unbedingt nur negativ zu verstehen ist, wenn die Ideale der Verbindung authentisch leben würden. Heute sind diese Ideale jedoch weitgehend erstarrt bzw. kann deren ursprünglicher Sinngehalt nicht mehr ausreichend nachvollzogen werden. 

P: Wenn ich deiner Schilderung so zuhöre, dann klingt es ja für jemanden, der Karriere machen und im Gesellschaftsleben gut verankert sein möchte, recht attraktiv, Mitglied bei einer solchen Seilschaft zu werden.

Cato: Ja, das berufliche Fortkommen war für die meisten von uns zugegebenermaßen ein gewichtiger Grund für eine Mitgliedschaft.

P: Warum bist du denn dann ausgetreten?

Cato: Das war damals keine leichte Entscheidung, ich hatte ja selbst in vielfacher Hinsicht von diesen Seilschaften profitiert. Die Mitglieder der Verbindung  stammten zumeist aus sehr privilegierten Verhältnissen, hatten ein Elternhaus mit akademischem Niveau und solidem  finanziellem Background und auch selbst die besten Gymnasial- und Universitätsausbildungen genossen. Wir Jungen waren schon von Beginn an mit den hohen Würdenträgern unserer Gesellschaft per Du – teilweise auch mit den Professoren, bei denen wir an der Uni unsere Prüfungen ablegten –, uns standen also außerordentlich gute Möglichkeiten hinsichtlich Bildung, weiterer Berufslaufbahn und gesellschaftlicher Wirkungsmöglichkeit offen. Und was machten wir mit diesem Potential? – Wir saßen auf der Konstante und tranken Bier! Erzählten uns flache Witze und unterhielten uns mit Mitte 30 allen Ernstes darüber, wie es dann in der Rente sein würde, in der man es sich dann besonders gut gehen lassen werde. Denn man konnte ja in seiner angehenden (meist Beamten-)Berufslaufbahn bereits hochrechnen, dass einem trotz Abzugs des aliquoten Prozentsatzes von seinem Monatsgehalt, den man der Verbindung abzuliefern hatte – einen Obulus, den man aber gerne zahlte, da man ohne Vermittlung der Verbindung meist wohl nicht annähernd eine dermaßen gut bezahlte und gleichermaßen bequeme Position erlangt hätte – noch genügend Mittel übrigbleiben werden, um sich neben einem Zweitlandsitz mit gepflegtem Fuhrpark auch noch eine schicke Yacht zum Bereisen der Weltmeere zu genehmigen.

Es war aber für mein persönliches Erleben weniger das, was wir getan haben, problematisch, sondern ich hatte ein viel unbehaglicheres Gefühl damit, was wir in dieser Verbindung trotz unserer außerordentlich guten Situierung nicht getan haben. Mir wurde irgendwann bewusst, dass es in sozialen, ökonomischen und ökologischen Belangen unglaublich viel zu tun gäbe, aber wir praktisch keines der wirklichen globalen Probleme ernsthaft thematisierten. Ich habe bemerkt, wie ich selbst dazu beigetragen habe, notwendige Änderungen der herrschenden Strukturen und zeitgemäße Entwicklungsnotwendigkeiten zu verhindern.

Ein Schlüsselerlebnis für meinen Austritt war es auch, als ich in einem Buch von Hermann Hesse auf eine Schilderung solcher Studentenverbindungen gestoßen bin. Dabei beschreibt Hesse, wie die Mitglieder einer solchen Verbindung in einer rauscherfüllten Nacht am einsamen Helden des Romans vorbeigerauscht sind, der gerade über das Wohl und Wehe der Menschheit nachsann. Lachend und schäkelnd, in Verbindungsmontur mit Bändern und Deckeln zusammengerottet, die Individualität im Kollektiv untergetaucht, rannten sie am nachdenklich auf einer Bank sitzenden Helden (für mich ist die Hauptfigur in Hesses Romanen immer gleichbedeutend mit dem Autor selbst bzw. seiner Denkweise, die ich sehr schätzte und für 100% authentisch hielt) vorbei ins nächste Lokal. Da wusste ich: Nee, geht nicht mehr, du musst dich verändern.

P: Es gibt auf Youtube ein Interview mit einem Rechtsanwalt [siehe Youtube], der aussagt, dass unser Justizsystem von Logen, konkret nennt er Freimaurer, unterwandert ist und Gerichtsurteile mitunter nach Weisung ebendieser Kreise getroffen werden. Kannst du das bestätigen?

Cato: Zum Einflusskreis der Freimaurer kann ich wenig sagen. Die sind auch international organisiert, während sich der Einflusskreis unserer Verbindung mehr auf bestimmte Bundesländer und insbesondere auf Städte und bestimmte Ministerien bezogen hat. Unsere lokalen Verbindungen waren aber über Dachverbindungen auch bundesweit vernetzt. Es gab große Jahrestreffen, bei denen man weitere wertvolle Kontakte knüpfen konnte. Einige meiner damaligen Kollegen sind mittlerweile selbst Staatsanwälte oder in hohe Richterpositionen aufgerückt. Wäre ich noch Mitglied der Verbindung, dann könnte ich mich bei einem gepflegten Bier auch abseits des offiziellen Verbindungshauses ganz unkompliziert und im Sinne der „amicitia“ an sie wenden.

P: Aber du hast auf diesen Vorzug verzichtet und bist ausgetreten. Hat dein Austritt für dich nachteilige Konsequenzen gehabt?

Cato: Nicht direkt. Aber ich musste aus der Stadt, in der unsere Verbindung etabliert war, wegziehen. Denn es wäre mir dort kaum möglich gewesen, nach einer beruflichen Neuorientierung Fuß zu fassen. In praktisch allen Verwaltungsbehörden der Stadt, ebenso wie in Wirtschaftsverbänden, an Bezirks- und Landgericht sowie in weiten Teilen der kommunalen Betriebe und auch der privatwirtschaftlichen Industrie saßen Verbindungsbrüder in führenden Positionen. Ein Austritt aus der Verbindung ist statutengemäß nicht vorgesehen und wird von den „Alten Herren“, dem „Philisterium“, natürlich nicht mit Wohlwollen begleitet. Ich musste also in einem anderen Bundesland in einer anderen Stadt bei Null anfangen. Das war für jemanden, der es gewohnt war, in ein dichtes Beziehungsnetzwerk eingebunden zu sein, zunächst durchwegs ungewohnt. Die Erfahrung, dass z.B. bei Bewerbungsgesprächen wirklich nur die konkrete fachliche Qualifikation zählte und ich mich nur noch auf mich selbst stützen konnte, ohne dass jemand ein amikales Wort für mich einlegt, war für mich durchaus eine neue Erfahrung.

Wenn kirchliche Würdenträger „amicitia“ walten lassen …

P: Bleiben wir beim Stichwort amikal bzw. dem Verbindungsprinzip „amicitia“ (lat. Freundschaft). Wie weit geht denn diese Freundschaft?

Cato: Auf diese Freundschaft hält man unter „Bundesbrüdern“, wie man sich gegenseitig nennt, viel. Kein Bundesbruder würde in demjenigen Bereich, in dem er beruflich Verfügungsgewalt innehat, entgegen den Interessen eines anderen Bundesbruders agieren und er wird es auch kaum ausschlagen, wenn ein solcher Verbindungsbruder sich mit einem Anliegen in bestimmter Sache an ihn wendet.  Man sieht es als Ehrenkodex an, zum anderen loyal zu sein, seine Interessen zu fördern, wo man die Möglichkeit dazu hat. Ich habe während meiner aktiven „Burschenschaft“ selbst erlebt, wie in manchen Bundesländern weite Teile des Verwaltungs-, Justiz- und Beamtenapparates von „Verbindungsbrüdern“ durchsetzt sind und diese miteinander eine Art Seilschaft bilden. Diese Seilschaft geht auch bis in privat- bzw. konzernwirtschaftlich organisierte Unternehmen und die Medien. Man hievt sich gegenseitig in hohe, gut dotierte Positionen. Auf der Verbindungs-„Konstante“ wird bei Bier in gemütlicher Stimmung besprochen, wie gewisse Dinge verlaufen sollen. Darüber gibt es kein Protokoll oder dergleichen, es wird rein informell und mündlich ausgemacht. D.h. kein Außenstehender im zivilen Leben ahnt etwas davon, dass gewisse Dinge abgekartet sind und nach „freundschaftlichem“ Ratschlag bzw. Weisung entschieden wird. Auch die Kirche ist mit im Spiel: Wie schon gesagt, hatten wir neben anderen kirchlichen Würdenträgern u.a. den Landesbischof als Verbindungsmitglied, der im Bedarfsfalle ebenfalls sein gewichtiges Wort in die Waagschale werfen konnte.

Kardinal Ratzinger, mit Verbindungs-„Burschenband“
(Foto: wikimedia commons-CC BY-SA 3.0-Rupertia Regensburg)

P: Das heißt also, kirchliche Würdenträger können über das Verbindungsprinzip „amicitia“ auf für die Öffentlichkeit ungesehene Weise mit Richtern, Staatsanwälten und Justizbeamten in Verbindung stehen?

Cato: Das war bei uns gängige Praxis. Ich muss allerdings anmerken, dass insbesondere die jüngere Generation der Verbindungsmitglieder, und dazu zähle ich auch die heute bereits in ihren 50er und 60er-Jahren befindlichen Alten Herren, ein zunehmendes inneres Unbehagen gegenüber Verbindlichkeiten gegenüber den klerikalen Würdenträgern verspürten. Nichts desto trotz galten die Kirchenherren im offiziellen Verbindungsbetrieb immer noch als besonders ehrwürdige Personen, denen man besonderen Respekt zu erweisen hatte.

P: Konkrete Frage: Hältst du es für möglich, dass auch im vorliegenden Fall der Gerichtsverhandlung von Heiz Grill, von der ich dir bereits kurz berichtet habe, derartige Seilschaften eingreifen und im Sinne des der Kirche verpflichteten Verbindungsprinzips „religio“ bei ihren in der Justiz sitzenden Bundesbrüdern „amicitia“ walten lassen?

Cato: Um diese Frage zu beantworten, müsste ich mich jetzt in das Feld der Verschwörungstheorien wagen. Und das ist mir als einfachem Bürger trotz rechtswissenschaftlichen Studiums bekanntlich untersagt.

Kirchliche Inquisition und mediale Meinungsmache

P: Wenn ich mir nun aber vorstelle, dass ein Prozess durchgefochten werden muss und diese Seilschaften mitsprechen, dann wirkt es für mich völlig aussichtslos, dass ein Kläger zu seinem Recht kommt.

Cato: Es mag Einflussnahme geben soviel es will. Wenn man mit Klarheit auf der Faktenlage und der herrschenden Judikatur beharrt, dann entzieht man allen Falschbehauptungen letztlich den Boden. Außerdem können bestimmte Seilschaften meist nur das Gericht eines bestimmten Ortes oder eines Bezirkes beeinflussen. Im Instanzenzug werden viele Urteile ja nicht ohne Grund revidiert. Wenn man einen langen Atem – und natürlich einen guten Anwalt  – hat, dann kann man auch unter starkem Gegenwind zu seinem Recht kommen. Gewisse Grundsätze unseres Rechtsstaats und des Grundgesetzes muss der Richter einhalten, sonst diskreditiert er sich selbst.

P: Eine im vorliegenden Prozess mit der Rechtsprechung betraute Richterin in Baden-Württemberg hat Anfang 2017 ausgesprochen, dass der von der beklagten Partei ausgeübte Druck so groß sei, dass sie, obwohl der Anspruch der Klägerseite begründet sei, nicht entscheiden und das Verfahren abgeben werde. Hältst Du es für möglich, dass hierbei auch von Seiten genannter Seilschaften Druck ausgeübt wurde?

Cato: Das muss natürlich nicht von Seiten solch einer Seilschaft gekommen sein, wie ich sie erlebt habe. Es gibt auch noch ganz andere Seilschaften mit viel umfassenderer Durchgriffsmacht, die nicht einmal vereinsmäßig eingetragen sind.

P: Es gab in der Süddeutschen Zeitung vor Kurzem einen extrem unsachlichen, diffamierenden Artikel gegen Heinz Grill. Die Veröffentlichung eines solchen Rufmord-Artikels war von der mit Heinz Grill in Gerichtsstreit befindlichen Gegnerschaft bereits geraume Zeit vorher angekündigt und wurde dann tatsächlich von der SZ „geliefert“. Hältst Du es für möglich, dass derartige Seilschaften in einer großen, angesehenen Zeitung wie der Süddeutschen einen vierseitigen Artikel setzen können, auch wenn er unwahr ist?

Cato: Ich kenne diesen konkreten Fall nicht. Aber wir hatten in unserer Verbindung weitreichenden medialen Einfluss, bis hinein in die Studios des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch der direkte Einfluss der Kirche ist nicht zu vergessen. Kirchennahe Funktionäre sitzen in Form von Beiräten, Journalisten und teilweise auch durch direkte Eigentumsbeteiligungen bei Verlagen und Herausgebern und haben immer noch eine starke Hand, um öffentliche Meinung zu formen.

P: Über die massive Einflussnahme der Kirche auf die Medien zum Zwecke der „Niederwerfung von Konkurrenz auf religiösem Gebiet“ habe ich schon in einem Buch des Religionswissenschaftlers Prof. Mynarek gelesen („Die neue Inquisition – Sektenjagd in Deutschland“). Seinem Fazit zufolge wirken die Kirchen in den Medien darauf hin, dass Religion nur noch als das „Christentum“ der beiden Kirchen verstanden wird, alle anderen religiösen Bemühungen, auch christliche, wolle man als sektiererisch, abseitig, pseudo-religiös, irrational oder sogar kriminell brandmarken.

Cato: Das kann man ganz pragmatisch sehen. Den Kirchen geht es natürlich um ihr Geschäft. Und im Gegensatz zur freien Marktwirtschaft, wo es heißt „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sehen die Kirchen das eben anders und eliminieren Konkurrenz dort, wo sie können, lieber schnell einmal vom freien Markt. Sonst laufen die ohnehin bereits unzufriedenen Kunden, die die Kirche mit ihrem kaum noch glaubwürdigen Geschäftsmodell bedient, womöglich zur Konkurrenz über.

Mittelalterliche Ambitionen im 21. Jahrhundert?

P: Aber wir haben doch eine grundgesetzlich garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit?

Cato: Natürlich, und auf die muss man auch beharren.

P: Die Kirche hat sogar eigene Beamte abgestellt mit dem Auftrag, die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu untergraben und Andersgläubige zu ächten, sogenannte „Sektenreferenten“.

Cato: Wenn kirchliche Akteure Andere diskriminieren, machen sie sich de lege strafbar. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, sondern im 21. Jahrhundert.

P: Du hast geschildert, dass derartige, kirchlich infiltrierte Seilschaften beträchtlichen Einfluss im Beamtenapparat, den Medien und auch der Justiz haben. Du hast dann auch erwähnt, dass Verbindungsmitglieder manchmal gewisse Dinge untereinander „abkarten“. Dazu fällt mir ein aktuelles Interview mit einem weiteren Rechtsanwalt ein, der darüber erzählt, wie sich bei manchen Verhandlungen die Richter mit den Anwälten der Gegenpartei vor Beginn der Verhandlung per Blickkontakt kurz signalisieren, dass sie miteinander im Einvernehmen sind und er dann nur mutmaßen könne, was diese Richter mit den gegnerischen Anwälten bereits im Vorfeld der Verhandlung ausgemacht hätten (siehe Youtube). Dieser Rechtsanwalt hat über solche Begebenheiten auch ein Buch geschrieben, in welchem er berichtet, wie in solchen Prozessen Urteile ergehen, die der Faktenlage vollkommen widersprechen und es aus objektiver Sicht kaum erklärbar ist, wie sie zustande kommen. Der Rechtsanwalt erzählt sogar von regelrechtem Parteienbetrug, wo der eigene Anwalt entgegen der Vereinbarung mit seinem Mandanten dann vor Gericht plötzlich etwas für den Mandanten sehr Nachteiliges  aussagt und damit das Verfahren in eine für den eigenen Mandanten sehr ungünstige Richtung lenkt.

Cato: Jeder Richter oder Anwalt, der eine solche Praxis mitträgt, macht sich selbst strafbar. Aber natürlich gibt es in allen Berufen schwarze Schafe, auch unter Richtern und Anwälten.

P: Du hast bei unserem letzten Gespräch bestätigt, dass München ein besonders „heikles“ Pflaster sei, da dort kirchliche Kreise, die man in anderen Bundesländern nicht mehr unbedingt toleriert, immer noch einen gewichtigen Einfluss, auch auf die Rechtsprechung haben. Ich verfolge schon seit geraumer Zeit den Fall von Heinz Grill mit, der gerade ebenfalls – als Kläger, der aufgrund gezielter Schädigungshandlungen durch eine Münchner Ärztin gegen seine Person nun vor einem Münchner Gericht um sein Recht streiten muss. Die Kirche bzw. ihre exekutiven Arme in Form sogenannter Sektenreferenten und auch ein mit der Kirche kollaborierender bayerischer Exekutivbeamter verfolgen Heinz Grill schon seit Jahren und schrecken dabei auch vor unwahren Tatsachenbehauptungen nicht zurück, um ihn zu diffamieren und zu kriminalisieren. Denkst du, dass die Kirche die Möglichkeit zur Intervention ungenutzt lässt, wenn ihr Feind nun auf „ihrem“ angestammten Territorium vor einem Münchner Gericht um sein Recht streiten muss bzw. dass nun ebenfalls solche Absprachen mit der Richterschaft wie im obigen Video geschildert, zu seinem Nachteil getroffen werden?

Cato: Das kann ich nicht sagen, dazu fehlt mir im vorliegenden Fall der Einblick. Die Kirche ist in München bzw. in Bayern natürlich immer noch ein gewichtiger Faktor, obwohl das Einmischenwollen von Kirchenvertretern allen Beteiligten heute ja immer peinlicher anmutet und jedem aufgeklärten Juristen eigentlich ein Graus ist, dem er sich nur widerwillig fügt. Ich würde den Einfluss der Kirche jedoch nicht nur über direkte Intervention festmachen. Die Kirche verfügt auch über eine beträchtliche mediale Macht und kann über diese Kanäle bzw. von Seiten gemachter öffentlicher Meinung subtilen Druck ausüben, der nicht minder wirkungsvoll ist als direkte Korrumpierung. Wie schon gesagt, gibt es sowohl bei Presse als auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kirchlich orientierte Beiräte, Redakteure und Herausgeber.

Rechtsstaat und Willkür

P: Aber es kann doch nicht sein, dass jemand, der geschädigt wurde und vor Gericht nun Recht sucht, noch weiter gedemütigt wird, nur weil andere bessere Beziehungen haben. Das Richteramt wäre nach meinem Verständnis doch ein besonders ehrenhafter und verantwortlicher Beruf, bei welchem man dazu geschult wurde, unlautere Willkür zu erkennen und Recht zu sprechen und nicht Unrecht?

Cato: Richter haben natürlich eine besonders privilegierte Stellung und sind ihrer Position – aus historisch sehr berechtigten und der Rechtsstaatlichkeit dienlichen Gründen – unabsetzbar, unversetzbar und nicht weisungsgebunden. Wohl kein anderer Berufsstand in unserer Gesellschaft besitzt derartige Vorrechte. Insofern könnte man meinen – und meines Erachtens darf man das als Bürger auch erwarten –, dass ein Richter in seiner Urteilsfindung auch wirklich frei und unbeeinflusst von tendenziöser Stimmungsmache und rein auf Basis der Gesetzeslage agiert. In Wirklichkeit ist einem Richter auch nichts mehr verhasst als ebensolche Einflussnahme und Erwartungshaltung seitens am Prozess beteiligter oder auch außenstehender bzw. ungesehener Dritter, sei diese Einflussnahme von kirchlicher, medialer, politischer oder sonstiger Seite und egal, ob die Einflussnahme nun ausgesprochen oder nicht ausgesprochen bzw. in Form stillschweigender Erwartung erfolgt – was genausviel Stress machen kann.

Ich kenne einige Richter persönlich und kann sagen, dass wohl kein Richter diese Berufslaufbahn eingeschlagen hat, um den Rechtsstaat und den Gleichheitsgrundsatz zu Grabe zu tragen bzw. sich als Vehikel für Willkür hinzugeben. Grundsätzlich hat jeder der Richter, Staatsanwälte und auch sonstigen Juristen, die ich kenne, inmitten aller Zwänge doch das innerste Anliegen, für mehr Recht bzw. Rechtssicherheit zu sorgen und nicht für mehr Unrecht bzw. Rechtsnihilismus. Selbst der schlechteste Richter will letztlich einen Fortschritt und kann Verfilzungen nicht ausstehen.

Wie dies im konkreten Fall gehalten wird, muss natürlich jeder individuell verantworten. Es gibt in jedem Berufsstand schwarze Schafe und es gibt heute ja genügend Literatur und Interviews, in denen Rechtsmissbrauch aufgezeigt wird. Aber ich glaube nicht, dass jemand, der im Justizbereich unlauterer Willensausübung Folge leistet, langfristig mit sich zufrieden sein und gesund bleiben kann. Insofern darf man schon auch auf den in jedem Justizbeamten vorhandenen eigenen Willen zählen, mit dem er seine eigene Integrität wahren möchte, schon alleine aus ganz egoistischen Gründen, um sich morgens aufrecht im Spiegel sehen zu können. Ich bin also trotz vieler Schieflagen zuversichtlich, dass sich das Justizsystem von aller – heute eigentlich überkommener Einflussnahme wie z.B. der Kirchen – freimachen und wieder zu einem vollkommen unabhängigen Stand hinfinden wird. Der Unmut ist bereits groß. Berufsverbände von Richtern und Staatsanwälten fordern gerade in den letzten Jahren grundsätzliche Reformen unseres Justizsystems, um wieder die Unabhängigkeit ihres Amtes zu wahren, die in der Praxis derzeit vielfach untergraben wird, aber an sich einer der elementaren Pfeiler unseres rechtsstaatlichen Systems wäre.

Justitia (Creative Commons-Pixabay-no attribution)

P: Das heißt, es besteht in der deutschen Justiz eigentlich dringender Reformbedarf?

Cato: Der Europäische Gerichtshof hat vor wenigen Wochen bereits ein denkwürdiges Urteil erlassen, in dem die Weisungsbefugnis der Justizverwaltungen gegenüber deutschen Staatsanwälten als rechtstaatlich unstatthaft kritisiert wurde. Der EuGH musste deshalb sogar zur ultima ratio greifen und hat die Gültigkeit von europäischen Haftbefehlen, die von deutschen Staatsanwaltschaften ausgestellt wurden, annulliert. Deutsche Staatsanwaltschaften sind in dieser Hinsicht also nicht mehr als „Justizbehörde“ im Sinne des EU-Rahmenbeschlusses anerkannt. Man halte sich das einmal vor Augen: In allen anderen Mitgliedsländern, sogar in Litauen, steht die Unabhängigkeit von Staatsanwälten gegenüber der Exekutive außer Frage, nur in Deutschland ist der europäische Justizstandard nicht gewährleistet!

Der Deutschen Richterbund hat schon vor einigen Jahren einen Entwurf zur Reform des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgelegt, demzufolge  die Befugnis von Justizverwaltungen, Weisungen zu Sachbehandlungen in Einzelfällen zu erteilen, in Zukunft ausgeschlossen ist. Auch Deutschlands neue Richtervereinigung fordert anlässlich des EuGH-Urteils eine Abschaffung des externen Weisungsrechts. Der Europäische Gerichtshof weist mit seinem aktuellen Urteil jedenfalls auf einen Defekt im deutschen Rechtssystem hinsichtlich des Grundprinzips der Gewaltenteilung hin, den es zu beheben gilt.

P: Derzeit gibt es aber offensichtlich noch einige Defekte, die auch entsprechende Kurzschlüsse verursachen. Was kannst du jemandem empfehlen, der sich in einer solchen Situation befindet, in der ein Gerichtsverfahren offensichtlich durch nicht offiziell anwesende Akteure und Weisungen „von oben“ beeinflusst wird?

Cato: Klarheit und schlichtes Beharren auf rechtsstaatliche Grundsätze und die Paragraphen der Gesetzesbücher. Wir haben ein Grundgesetz und einen umfassenden, in seinem Wortlaut wohlabgewogenen Gesetzeskodex samt Judikatur. Jede Art von externer Einflussnahme ist bei Richtern strikt untersagt. Natürlich gibt es auch im justiziellen Bereich Fälle unlauterer Einflussnahme. Ich glaube aber auch nicht, dass ein Richter heute allzuviel riskieren kann. Wenn sein Urteil allzu absurd bzw. entgegen der Faktenlage ausfällt, dann muss er ja damit rechnen, dass sein Urteil von der nächsthöheren Instanz kassiert wird und dann Verfahrensfehler und Willkür aufgedeckt werden. Das könnte dann auch für ihn persönlich schwerwiegende Folgen haben und Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen.

Courage und Zukunft

P: Also wenn ich das alles jetzt Revue passieren lasse, dann bin ich wirklich empört, was da so hinter einer scheinbar seriösen Fassade an Derbheit und Verstrickungen abläuft und wie Kirchenfürsten nicht nur das Bierkrügel, sondern auch das Zepter schwingen möchten. Dass man als freier Bürger nicht an das glauben darf, was man will, sondern man von kirchlichen „Sektenreferenten“ und ihren Bierzipfel-„Bundesbrüdern“ bis hinein ins Rechtsleben diskriminiert und von den Medien verrissen wird, wenn man der Kirche nicht genehm ist. Das kann man doch in heutiger Zeit und in einem Rechtsstaat nicht tolerieren? 

Cato: Nach meiner Einschätzung wird der Einfluss der Kirche schon in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören. Diejenigen Richter und Justizbeamten, die den Begehrlichkeiten der Kirche die Hand reichen, wissen insgeheim, dass sie damit retardierenden Ambitionen dienen, die keine Zukunft haben. Auch den Einfluss der Medien würde ich nicht überschätzen, deren Einfluss nimmt ja ebenfalls rasant ab. Die Menschen kündigen nicht umsonst reihenweise ihre Abos, da sie sich durch die gegenwärtige Art der medialen Berichterstattung nicht mehr objektiv informiert, sondern eher manipuliert fühlen. Welcher aufgeklärte Mensch nimmt denn die heutigen Journalisten, von denen Relotius ja angeblich einer der besten und preisgekröntesten war, noch ernst? Inzwischen wird der Leserschwund auch für die namhaften Blätter ja bereits existenzbedrohlich. Man sieht also, wie man sich durch qualitativ schlechte Arbeit letztlich selbst die Grundlage zerstört. Und dasselbe gilt natürlich auch für Justizbeamte und Richter.

Das sind aber größtenteils sehr intelligente Männer und Frauen, die das auch richtig einschätzen können. Ich bin daher zuversichtlich, dass es demnächst möglich sein wird, den derzeitigen Verhältnissen eine Wende zu geben. Wir brauchen wieder faire, konsequent rechtsstaatliche Verhältnisse und auch Medien, die sich der objektiven Berichterstattung verpflichtet fühlen, so wie das SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein als Grundsatz für sein Blatt hatte: „Schreiben, was ist.“ – ohne Rücksicht auf politische, kirchliche oder sonstige Interessen.

P: Du bist also trotz allem optimistisch?

Cato: Ja. Und es ist mir bei meinen Schilderungen auch nicht darum gegangen, Verbindungen wie solche, bei denen ich Mitglied war, anzukreiden. Natürlich gibt es Dekadenzerscheinungen, es sitzen dort aber nicht nur tumbe Opportunisten. Viele der dortigen Mitglieder besitzen sogar außerordentliche Fähigkeiten, haben einen guten Willen, sind sozial engagiert und wollen Fortschritt. Es ist natürlich ein gewisses Generationenproblem gegeben, das sich aber aus demografischen Gründen ganz von selbst lösen wird. Vor allem die jüngere Generation findet vieles bislang noch Tolerierte, insbesondere in Zusammenhang mit dem Einfluss kirchlicher Dogmatik, mittlerweile unerträglich. Ich bin also zuversichtlich, dass sich diese Verbände aus sich selbst heraus erneuern werden. Sie müssen sich dabei meines Erachtens nicht einmal komplett neu erfinden. Sie bräuchten sich ja eigentlich nur auf das besinnen, was ihren althergebrachten Verbindungsprinzipien wirklich, und zwar im ureigensten Sinne des Wortes, zugrundeliegt und das auf zeitgemäße und freilassende Weise neu formulieren. Dann kann auch „amicitia“ und „religio“ etwas sehr Wertvolles sein – auch in allgemeingesellschaftlicher Hinsicht. Denn ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es in unserer Gesellschaft auch gediegene konservative Elemente braucht, die Werte und Tugenden bewahren und damit gegenüber allzu progressiven Tendenzen in unserer Gesellschaft für eine gesunde Balance sorgen.

Auch Richter und sonstige tragende Akteure unseres Rechtssystems wissen, dass sie durch ihr heutiges Gebahren bzw. ihre vorhandene oder nicht vorhandene Courage auch die Zukunft formen, in der sich einmal ihre eigenen Kinder wiederfinden werden, vielleicht ebenfalls in der unteren Position, wo sie vor einer richterlichen Autorität Recht begehren. Kein Richter will wohl, dass seine Kinder einmal in einem Willkürsystem leben müssen.

P: Vielen Dank für diese interessanten Einblicke.

Cato: Gerne. Unser Rechtssystem ist ja etwas, was jeden von uns ganz grundlegend betrifft, auch wenn er gerade kein Gerichtsverfahren anhängig hat. Denn wenn man Recht sucht, dann soll man es auch finden können. Ohne Rechtssicherheit hat eine Gesellschaft keine Basis und gibt sich der Erosion preis.


Anmerkung:

Da ich es dermaßen unglaublich fand, habe ich im Nachgang noch recherchiert, ob in akademischen Kreisen wirklich Lieder mit Refrains wie „Trinkfest und arbeitsscheu, aber der Kirche treu …“ gesungen werden und bin auch gleich mehrfach fündig geworden. Die nachfolgende Fundstelle bzw. das Foto stehen nicht in Zusammenhang zu der Studentenverbindung, welcher mein Interviewpartner angehörte, mag jedoch einen lebendigen Eindruck von den vorhin geschilderten Verhältnissen geben. Auch hier war ein Bischof beim fröhlichen Verbindungs-„Herrenabend“mit dabei, der dann gegenüber der Presse selbst bekundete: „Ich habe mich hier pudelwohl gefühlt.“ Ausschnitt aus der Berichterstattung der Aachener Zeitung:

<< Damit der Aachener Bischof auch sofort wusste, wo er sich befand, begrüßten ihn die Krüzzbrür gleich einmal mit ihrer Nationalhymne „Trinkfest und arbeitsscheu, aber der Kirche treu. Halleluja.“ Dem Bischof, der erstmals beim traditionellen Herrenabend des Pfarrausschusses Heilig Kreuz zu Gast war, gefiel‘s ganz offensichtlich. „Ich habe mich hier pudelwohl gefühlt“, sagte er knapp vier Stunden später bei seiner Verabschiedung. >>

Schlagworte: , , , , , , , , , ,

Ein Kommentar auf "Bierzipfel, Bischöfe, Bordellbesuche … – Interview mit einem Juristen über Seilschaften der Kirche in der Justiz"

Schreibe einen Kommentar