Entwicklung der Anti-Sekten Bewegung Teil 3

Entstehung der Anti-Sekten Bewegung in Deutschland Teil 3 „Die Anfänge: Jugendreligionen“

Die Anfänge: Jugendreligionen besorgte Eltern

Als der Begriff der „Sekte“ in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit trat, hielt man es für ein Phänomen, das vor allem junge Menschen betreffen würde. So wurde das Sektenproblem damals als das Problem der Jugendreligionen bekannt. Die junge Generation, die sich weltanschaulich zunehmend von den Werten und Normen der Eltern entfernt hatte und gerade auch auf religiös weltanschaulichem Gebiet begann, unabhängig von den kulturellen Wurzeln nach neuen Lebensinhalten Ausschau zu halten, wurde vor allem durch die damals noch sehr exotischen Gedanken und Vor­stellungen des Ostens von Reinkarnation, Karma und Nirvana angezogen. Tausende junger Menschen zogen damals, oft auf dem Landweg, Richtung Osten, vor allem nach Indien, wo sie sich eine Begegnung mit einem Guru oder Meister erhofften, der in der Lage wäre, sie in die Tiefen des Seins einzuweihen.

Der massenhafte Aufbruch der jungen Generation zeigte vor allem eines: Die Gegenwartskultur der westlich-industriellen Welt wurde als mangelhaft empfunden und konnte die tiefere Sehnsucht dieser jungen Menschen nicht stillen. So projizierten viele ihre Sehnsüchte und Wunschträume von einer besseren Welt auf den Osten, der dadurch in ihrer Vorstellung zum gelobten Land wurde.

Nicht wenige dieser Morgenlandfahrer kehrten, wenn überhaupt, im ockerfarbenen Gewand der Sannyassins aus Indien zurück. Aber damit nicht genug: Einmal zurückgekehrt, schockten sie ihre Eltern und Familien mit dem Entschluss, fortan ihr Leben in in Kommunen, unter reichlichem Gebrauch von halluzinogenen Drogen und mit freier Liebe in Peace und Happiness zu verbringen.

Lehrer wie Bhagwan, der sich später Osho nannte, Maharishi Mahesh Yogi, der Begründer der Transzendentalen Meditation und zeitweiliger Meditationslehrer der Beatles, oder Sri Praphupada, der Begründer der Hare-Krishna Bewegung hatten großen Zulauf und die ockerfarbenen Gewänder der Sannyassins waren aus den deutschen Innenstädten gar nicht mehr wegzudenken.

Dass in dieser Situation viele deutsche und amerikanische Eltern, denen ihre, (größtenteils schon lange volljährigen) Kinder weggelaufen waren, begannen sich zusammenzuschließen und Pläne zu schmieden, wie sie ihre Kinder wieder aus den Klauen der Sekten befreien könnten, verwundert nicht weiter. Problematisch wurde die Situation nun aber vor allem dadurch, dass die kirchlichen Sektenbeauftragten, allen voran Sektenpfarrer Haack und später der Berliner Pastor Thomas Gandow nun begannen, diese Elternbewegung für ihre Zwecke einzuspannen um bei Behörden und auch innerhalb der Kirche besser Gehör zu finden.

„Sektenpfarrer“ Haack und die Anfänge der Sektenangst

Pfarrer Haack, der damals den Begriff der Jugendreligionen geprägt und salonfähig gemacht hat, kann ohne Zweifel als der Urvater der modernen Sektenbekämpfung bezeichnet werden.

In den sich formierenden Elterninitiativen fand sich ein Kreis von Menschen, die seinen radikalen Thesen über die von Sekten ausgehende Gefahr Gehör zu schenken bereit war. Diese enttäuschten Eltern suchten meist ihrerseits eine Art Anwalt, der ihnen helfen würde, die, wie sie es fühlten, Macht der Sekten über ihre Kinder zu brechen, und sie aus der in ihren Augen entstandenen furchtbaren Abhängigkeit von ihren Gurus zu befreien. Sektenpfarrer Haack, der neben Theologie auch Publizistik studiert hatte, war für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. Wie keiner vor ihm verstand er es, durch ge­zielte Öffentlichkeitsarbeit ein Gefühl der irrationalen Bedrohung durch die Sekten in den Köpfen der deutschen Bevölkerung zu verankern. Bücher mit Titeln wie Von Gott und der Welt verlassen – Der religiöse Untergrund der Welt sollten der Welt zeigen, wie groß die Gefahr ist, die von den Sekten ausgeht. Eine Vielzahl von Fernsehauftritte und viele Inter­views von Journalisten mit dem bald als Sektenexperten geltenden Mann taten ein übriges.

Das Selbstverständnis Haacks, das vermutlich für viele Sektenbeauftragten der damaligen „Gründerzeit“ exemplarischen Charakter hat, lässt sich seinem Entwurf für Morgen ablesen, der 1974 von ihm verfasst wurde:

Es muss einige feste Balken geben, auf denen wir in die Welt von Morgen eintreten können. Sie müssen gleichzeitig Gewähr für Sicherheit und Stabilität bieten.

Als Funktionsträger von Sicherheit und Stabilität beruft Haack allen voran die Kirchen, dann die Rechts­pfleger, die Armee und schließlich die Gewerkschaften. Haack tritt hier ganz im Sinne der „Hirtenmentalität“ der Kirchen für starke Institutionen ein, die in der Lage sind, den in den Studentenunruhen und Hippiebewegung immer stärker aufkeimenden Drang nach individueller, von Kirchen, Staat und Institutionen freier Bewusstseinsentwicklung Einhalt zu bieten. Dergleichen Umtriebe mussten auf den ganz in der kirchlichen „Wahrheit“ verankerten Pfarrer mehr als bedrohlich wirken und seinen Widerstand herausfordern.

Haack, der sich über fast zwei Jahrzehnte bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit zur Gefährlichkeit von Sekten für Staat und Gesellschaft geäußert hat, wurde vor allem durch seinen plakativen, aber offensichtlich äußerst me­dienwirksamen Sprachgebrauch bekannt: Bei Mitgliedern religiöser Bewegungen handele es sich um Opfer der Seelenwäsche, die sich als Zombies der Heiligen Meister missbrauchen lassen. 41

In einem Bericht der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), der 1984 veröffentlicht wurde, rechtfertigen die damaligen Leiter der Stelle dieses Vorgehen folgendermaßen:

Vor allem die Schwerfälligkeit der breiten Masse, die durch harte, ja schockierende Konfrontation mit solchen Gefahren aufgerüttelt werden kann, gibt diesem Vorgehen im Grundsätzlichen recht.

Die Motive des Sektenexperten Haack werden im selben Text recht deutlich von einer etwaigen Parteinahme für die Kirche unterschieden:

Also nicht, um einer neu aufkommenden ‚Konkurrenz‘ entgegenzutreten und erneut einen Gegenschlag der Kirche gegen die ‚Sekten‘ zu führen, sind diese kirchlichen Beauftragten, die häufig als ‚Sektenexperten‘ apostrophiert werden, aktiv geworden, sondern ganz eindeutig seelsogerlich motiviert: als Berater und Helfer.

Die Kirche, in diesem Fall die evangelische, war also damals sehr sorgfältig bemüht, nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, sie würde sich mit ihren „Beratungsangeboten“ und Sektenstellen parteilich betätigen und der Zweck dieser Stellen sei in der Ausschaltung weltanschaulicher Konkurrenz zu suchen. Heute, mehr als 20 Jahre danach, kann dazu nur gesagt werden, dass dieser häufig geäußerte Vorwurf wahrscheinlich nur zum Teil zutraf und heute noch zutrifft.

Betrachtet man länger die Motivlage von Pfarrer Haack, und lässt man seine Schriften auf sich wirken, dann ist tatsächlich weniger das Motiv vorhanden, der Kirche die „Konkurrenz“ vom Leib zu halten, als vielmehr die absolute Überzeugung, auf der Seite der Wahrheit zu stehen und in seiner Verfolgung der Sekten der wahren Religion einen Dienst zu leisten. Er ist tatsächlich, auch in seinem Selbstverständnis ein moderner Großinquisitor. Gleichzeitig ist, und das sticht eigentlich am deutlichsten hervor, eine panische Angst gegeben. Diese Angst ist vor allem gegeben durch die Unsicherheit einer Zeitentwicklung, die immer mehr Individualisierung und Selbstverantwortung vom Einzelnen fordert. Wenn Haak, wie oben zitiert, Kirchen, Gewerkschaften, ja die Armee (!) als die starken Balken für den Menschen in der Welt von morgen herbeiwünscht, so zeigt das mehr als deutlich welche Angst ihm diese modernen Zeiten und ihr Individualismus machen.

Instrumentalisierung der Elterninitiativen durch die Kirche

Haack begründet 1975 in München, die Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Ex­tremismus e. V.

Norbert Thiel schreibt 1986 in seinem Buch, Der Kampf gegen neue religiöse Bewegungen zur Gründung dieser Initiative:

Gründungsmitglieder des Vereins waren Pfarrer Haack und seine Frau Inge, der katholische Dipl. Theologe Hans Löffelmann, der Sektenkritiker und Schulpfarrer Kurt Österle, der bayrische Senator und Rechtsanwalt Wolf­gang Burnhauser und das Ehepaar Joachim und Ruth von Poschinger.

Als durch ‚religiöse Extremgruppen‘ direkt betroffene Eltern konnte sich jedoch bestenfalls das Ehepaar Poschin­ger verstehen, deren Tochter zeitweise mit der Vereinigungskirche in Verbindung stand. Alle anderen Gründungs­mitglieder hatten spezifische Interessen, die sie unter dem Etikett ‚Elterninitiative‘ zu verwirklichen suchten. Im Laufe der Zeit schlössen sich zwar mehrere Dutzend ‚betroffene Eltern‘ der Initiative an, aber der führende Kopf war weiterhin der ‚Sektenexperte‘ Pfarrer Haack, der als Vertreter von Elterninteressen mehr Aufmerksamkeit er­warten durfte, als als apologetischer Kämpfer.

Die kirchlichen Sektenbeauftragten hatten mit der Gründung dieser Initiativen, die sich in den folgenden Jahren Jah­ren sprunghaft vermehrten (Elterninitiative Nordrhein-Westfalen, Niedersächsische Elterninitiative gegen Miss­brauch der Religionen, Verein zum Schutz seelisch gefährdeter junger Menschen e.V. und viele andere) an deren Gründung sie selbst aktiv sehr stark mitarbeiteten eine ideale Plattform geschaffen, um nun auf breiter Ebene Öf­fentlichkeitsarbeit machen zu können. So begann also die Ära der „Sektenpfarrer.“

Die Eltern wurden gebeten, die Arbeit aktiv zu unterstützen. Dies sollte geschehen durch:

  • Gespräche mit Abgeordneten (Landtag, Bundestag, Stadtrat).

  • Briefe an Bischöfe, Kirchenleitungen

  • Briefe an Ministerien (Justiz, Soziales, Ämter für öffentliche Ordnung). Im letzten Fall Briefe über Belästigun­gen in Fußgängerzonen.

  • Leserbriefe an Zeitungen bei jedem sich bietendem Anlass.

Weiterhin konnte man über die Eltern an wertvolles internes Material der Sekten herankommen. Die Eltern wurden also hauptsächlich als Informanten gebraucht (oder vielmehr missbraucht?):

Alle Materialien…können von großem Wert sein. Wer Material vernichtet, hilft den Sekten und ihren Führern!..P.S. Sie können die Unterlagen an unser Postfach oder an Herrn Pfarrer Haack.. senden.

Lesen Sie weiter: Die Entstehung der Anti-Sekten Bewegung in Deutschland Teil 4 Professionalisierung

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