Der Guru – Heinz Grill, eine rätselhafte Figur?

17. Mai 2019 | Von | Kategorie: Fallbeispiele, Featured, Propagandajournalismus

Zum Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 13.4.2019 mit der Schlagzeile „Der Guru“.

Das Interesse an Heinz Grill scheint groß zu sein, denn drei ganze Seiten in der Wochenendausgabe der Süddeutsche Zeitung und dies auch noch im Hauptteil schaffte nicht einmal der bekannte Whistleblower Julian Assange. Für ihn hatte die SZ nur eine Seite übrig. Von großem Charisma ist die Rede, von fanatischen Esoterikgruppen, von einem millionenschweren Erbe, von Erleuchtung, Personenkult und einem psychologischen Krimi, von Spiritismus und dass Heinz Grill Experte für Lichtnahrung sei und etwas mit Morden, Verfolgung und Gerichtsmissbrauch zu tun habe.

Am Ende des Artikels angekommen, weiß man jedoch nichts, vor allem nicht: „Wer ist dieser Heinz Grill? Denn in den ganzen drei Seiten sucht man vergeblich eines, nämlich Fakten. Eine zweite Person erscheint gleich unter der Headline, die Ärztin Frau B., aber auch ihre Rolle bleibt mysteriös. Und schließlich gibt es Gruppen, scheinbar gefährliche Gruppen, die mit den einfallsreichsten Begriffen wie Schwarm, Jünger, Gefolge, Grillianer – 67 sind es an der Zahl – dem Leser die Fakten zu ersetzen versuchen – nach dem Motto Quantität statt Qualität. So steht man also verwirrt, verängstigt oder verärgert vor drei großen Rätseln: Wer ist Heinz Grill, wer ist Frau Dr. B. und was hat es mit diesen Gruppen auf sich, die den Autoren ganz besonders am Herzen liegen?

In großen Lettern prangt da „Der Guru“. In Indien wäre es eine Ehre und dem Status des Guru als großer weisheitsvoller Lehrer angemessen, mit dieser Headline präsentiert zu werden. Aber wir sind nicht in Indien, bei uns gelten andere Gesetze. Die Kirche als kompetente Stelle für sämtliche religiösen Fragen weltweit hat diesen ehrwürdigen Begriff einfach umdefiniert in gefährlicher Irrlehrer, der seine Schüler manipuliert, sie von sich abhängig macht, Gehirnwäsche betreibt, ihnen ihr Geld abverlangt und sie für seine Zwecke missbraucht.

Heinz Grill im Lotussitz sitzend vor einer Waschmaschine mit Gehirnen gezeichnet, gab sich der Illustrator des Artikels alle Mühe, unbemerkt psychologische Synapsenverknüpfungen in den Gehirnen der Leser für die gefährliche Variante des Guru zu erzeugen. Ist der Illustrator vielleicht selbst ein gefährlicher Guru, der Gehirnwäsche am Leser betreibt? Wozu diese Effekte, dieser Aufwand? Weshalb werden alle psychologischen Register gezogen, um einen gefährlichsten Guru aufzubauen, der so mächtig ist, dass er den ganzen deutschen Staat vorführen kann.1 Er muss wahrlich übermenschliche Fähigkeiten haben, wenn er einen ganzen Staat über Jahren hinweg vorführen kann. Es wäre wirklich interessant, wie er das genau macht, aber das erfährt man nicht. Stattdessen gibt es geheimnisvolle Andeutungen, Verkettung von Begriffen, die sich logisch gar nicht verbinden lassen, wie Respekt und Personenkult2, die aber doch ungesehene weitere Synapsenverknüpfungen im Gehirn des Lesers erzeugen.

So erfahren wir also trotz drei Seiten Text nichts über Heinz Grill, er bleibt eine rätselhafte Figur für den Leser. Eines jedoch ist gewiss, er muss bedeutungsvoll sein. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich selbst zu informieren. Dies ist nicht schwierig, denn im Internet findet sich ein umfangreiches schriftstellerisches Werk von Heinz Grill. Aber wenn die Artikelschreiber nun doch Recht haben und er so gefährlich ist? Kann man es überhaupt wagen, da hinein zu lesen, ohne sofort von den Fangarmen seiner charismatischen Ausstrahlung verschlungen zu werden?3 Gehört man dann auch zu seinem Umfeld oder wird gar fanatischer Anhänger?4 Muss man dann in das Landgericht München umziehen?5 Eine schaurige Vorstellung. Es hilft aber alles Hadern nichts, wenn man mehr über Heinz Grill erfahren möchte, führt kein Weg daran vorbei, ein oder zwei Bücher von ihm aufzuschlagen und mutig darin zu lesen oder vielleicht sogar seine Website zu besuchen oder für ganz Waghalsige, sich direkt mit ihm in einem Youtube-Video zu konfrontieren oder für wirkliche Helden, den direkten persönlichen Kontakt mit ihm zu suchen. Sich ein objektives Bild zu machen, verlangt schon einen hohen Preis.

Überall beschreibt er das Gleiche: das Bild des Menschen, der ohne Guru sein Bewusstsein und seine Wahrnehmungsfähigkeit zu spirituellen Themen sowie den Fragen des täglichen Lebens schult. Sogar völlig unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Institution soll der Menschen dies tun können. Ein Hauch von Freiheit kommt beim Lesen entgegen und ein feines inneres Aufrichten ob der eigenen individuellen Möglichkeiten. Ist das ein genialer Trick, um Interessierte nichtsahnend in seine Fänge zu locken? In eigener Verantwortung und Erkenntnissuche Ideale erforschen und sie ausgestalten, bis sie im praktischen Leben real sichtbar und zugleich eine authentische Kraft im Menschen selbst werden, Darin sieht Heinz Grill die künftige Spiritualität. Das klingt irgendwie anziehend, klingt aber auch nach Arbeit. Nichts ist zu finden über Verehrungsrituale und die Liebe des Guru, die den Schüler umfängt und ihm die Erleuchtung beschert. Statt dessen findet man Zeugnisse der Umsetzung: ein ganzes Haus beispielsweise mit gesundheitsfördernden architektonischen Formen oder ein medizinisches Buch über seelische Bezüge zu Herz, Leber, Niere und Lunge, über 120 neu eingerichtete Kletterrouten, die Arco zu einem neuen Kletterzentrum mit internationalem Rang aufblühen ließen. Am detailliertesten ist ein neuer Yoga beschrieben, der durch Empfindungsschulung zu einem künstlerisch-ästhetisches Üben führt.

Aber wie geht das Ganze mit dem Artikel zusammen? Trägt Heinz Grill vielleicht zwei Seelen in seiner Brust, ein konkretes, logisches Denken, das sich in einer reichhaltig differenzierten, beschreibenden und fast poetischen Sprache ausdrückt und auf der anderen Seite der fanatische Guru und Seelenfänger, wie er im Artikel erscheint? Ist er auch noch Meister der Täuschung, wenn er das klassische Lehrer-Schüler-Verhältnisses vom verwirklichten Guru zum unwissenden schwachen Schüler, als nicht mehr zeitgemäß für den Westen beschreibt? Vielleicht ist der „Soziale Prozess“, den er als neue Form der spirituellen Beziehungsaufnahme beschreibt, nur ein seriös erscheinendes Blendwerk nach außen, um unbehelligt sein Unwesen als gefährlicher Guru treiben zu können? Wie soll das überhaupt gehen, dass Schüler und Lehrer sich auf gleichberechtigter Stufe begegnen und gleichermaßen forschend an einem Thema tätig sind? Soll das heißen, der Lehrer ist selbst noch ein Suchender? Fragen über Fragen. Hätte man den Artikel nur nicht gelesen, dann könnte man sich diese Konfusionen ersparen.

Eine Gewissheit drängt sich jedoch so nach und nach auf: wenn Heinz Grill die Beschreibungen in seinen Büchern über den eigenständig denkenden Menschen ernst meint, dann ist er wirklich gefährlich. Es müssen sich all jene gefährdet fühlen, die Menschen manipulieren möchten. Vielleicht auch die Süddeutsche Zeitung? Sind nicht auch die kirchlichen Vorstellungen vom sündigen Menschen, der nur in der Gemeinschaft innerhalb der Kirche auf Erlösung hoffen darf, gefährdet?

Welcher Part kommt nun der verstorbenen Ärztin Dr. Christine B, in dem Ganzen zu? Über sie zu recherchieren erweist sich indes als schwieriger, denn es gibt weder Bücher von ihr noch sonst irgend ein philosophisches Werk. Mit etwas Mühe und mit Hilfe des Artikels wird man dennoch fündig, denn etwas ist nicht zu übersehen inmitten der Villen in Trudering: das AMUN-Haus, ein spirituelles Zentrum, eine dem indischen Avatar (Geistlehrer) Satya Sai Baba gewidmete Verehrungsstätte mit einer Glaspyramide auf dem Dach und einer fensterlosen Krypta im Keller, deren Mittelpunkt ein massiver Stein bildet. Kann es sein, dass den Investigativ-Journalisten was den Guru betrifft da eine Verwechslung unterlaufen ist? Oder wurde ihnen, um sie nicht mit zu viel Wahrheit zu überfordern, das mittlere Stockwerk des AMUN-Hauses vorenthalten? Ja, es muss wohl so sein, denn Satya Sai Baba gleich zweifach in Lebensgröße zu begegnen und das auch noch in einem eigens dafür geschaffenen Altarraum, das kann man vielleicht verdrängen, aber nicht vergessen.

Alteingesessene Truderinger erinnern sich noch mit gemischten Gefühlen an die Zeit (etwa 1990) einer großen Vision des Ärztepaares B., für den Stadtteil-Ashram von Trudering: Das AMUN-Haus als Zentrum und darum herum Schule, Kindergarten, Altenheim, Krankenhaus, Wohnungen, alles unter der spirituellen Führung des Ärztepaares. Für die Investigativ-Recherche ist dies wohl schon zu lange her. Und sind wir uns ehrlich, diese Informationen würden den Leser nur verwirren, denn er würde nun gar nicht mehr wissen, wer denn nun wirklich der Guru sei. Um ihn nicht unnötig hier in noch weitere Verwirrung zu bringen, ließen die Investigativ-Journalisten auch die letzten Zeilen der verstorbenen Ärztin, ihre Botschaft an ganz Europa im Verborgenen. – Oder wurde sie ihnen durch die Familie B. vielleicht vorenthalten? Die Ärztin hatte handschriftlich hinterlassen, dass sie jene große spirituelle Kraft für Europa verkörpere, so wie der große Avatar und Heilige Satya Sai Baba dies für den Osten ist. Durch sie komme die Kraft der Erlösung zu den Menschen in ganz Europa. Patienten berichteten, dass sie ihnen Psychotherapie bei sich selbst verordnet hatte, da als erster Schritt zur spirituellen Reife eine Therapie bei ihr notwendig sei.

Zu viele Fakten verderben den Artikel, war wohl das Motto der Autoren, denn eines wird dem Leser deutlich: Heinz Grill ist der Guru – oder ist er es am Ende doch nicht? Ausgeschlossen, es war doch 67 mal von Gruppe die Rede, damit ist sie doch ausreichend bewiesen. Wenn er aber doch der Individualist ist, der Einzelgänger, dann tut man sich gar nicht so leicht und die Kirche hätte ein Problem mit ihren Sektenreferenten. Sie müsste einen neuen Beruf kreieren, vielleicht Häretiker-Spezialisten ausbilden und das würde sicherlich zu lange dauern. Dann schon besser eine Gruppe kreieren, um die verdienten Sektenreferenten zum Einsatz zu bringen. Auch die Heilige für Europa wäre arbeitslos geworden, würden es alle Heinz Grill gleichtun und sich auf eigene spirituelle Beine stellen, ganz ohne Guru. Ein Imperium wäre zusammengebrochen. Da ist es leichter, einen zu opfern – den „Guru“.

Fußnoten

  1. „Dessen Anhänger führen schon seit Jahren den Staat vor, lähmen die Justiz und verfolgen gnadenlos alle Kritiker.“
  2. „Je mehr Respekt ihm seine wachsende Anhängerschaft entgegenbringt, umso größer wird der Personenkult.“
  3. „… gehörten zum Umfeld des charismatischen Yoga-Lehrers Heinz Grill.“
  4. „Experten zählen seine Runde zu den kleinen fanatischen Esoterik-Gruppen, von denen es mehr als 600 in Deutschland geben soll. Die meisten davon wirken angeblich in München und Umgebung.“
  5. „Die Anhänger des spirituellen Yogis haben sich als Kläger in Dutzenden Verfahren in den Räumen des Justizpalastes am Stachus regelrecht eingenistet, um einen ideologischen Kampf um Glaubensfreiheit zu führen.
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5 Kommentare auf "Der Guru – Heinz Grill, eine rätselhafte Figur?"

  1. Zu der aktuellen „Sekten“-Debatte hat der Religionsissenschaftler Prof. Seiwert ein lesenswertes Plädoyer gegen zunehmende Diskriminierung und Verhetzung geschrieben (Seiwert ist ehem. Mitglied der staatlichen Enquête-Kommission und sieht eine Versachlichung der Diskussion über „sogenannte Sekten“ als dringlich an. … die Gefährlichkeit kritisierter Gruppen sei wissenschaftlich nicht nachweisbar und würde künstlich erzeugt. Darüber hinaus sei der derzeitigen Anti-Sekten Hysterie eine Forderung nach „Ausrottung“ aller Spiritualität immanent, was jedoch unmöglich sei). Prof. Seiwert:

    „Es ist unmöglich zu verhindern, dass Menschen religiös sind. Auch wenn in hochgradig säkularisierten Gesellschaften wie Deutschland oder Frankreich die Mehrzahl der Menschen wenig religiöse Bedürfnisse zu verspüren mag, so gibt es doch immer andere, die sich in ihrem Suchen nach religiöser Orientierung und Spiritualität einer radikalen Verweltlichung entziehen. Wer dies beseitigen wollte, müsste diese Menschen ausrotten. (…) Dass es sich dabei um religiöse Minderheiten handelt, liegt in der Natur der Sache. Wenn der Staat sich darauf einlässt, religiöse Minderheiten als >>Sektenproblem<< zu definieren, gerät er leicht auf die Bahn derjenigen, die Religion überhaupt als Problem ansehen, wenn sie nicht in der domestizierten Form staatstragender Kirchenbürokratien vorkommt.“

    siehe http://politeia.press/wp/der-kampf-gegen-den-geist/

  2. Walter Friedrich sagt:

    Sehr geehrte Leser dieses Beitrags, wie komme ich nun zu einer Gewissheit ob das was in einer so renommierten Zeitung wie es die SZ ist, sich um reale Tatsachen handelt oder stimmt es was der Autor dieses Beitrags beschreibt dass alles anders ist. Dann stellt sich aber die Frage was soll der SZ-Artikel bewirken? Will man eine Gruppe inszenieren die es nicht gibt? Wer ist Heinz Grill der so gefährlich erscheint?

    • Sigrid Groß-Göritz sagt:

      Sehr geehrter Herr Friedrich,
      man wird nicht darum herum kommen, sich selbst eine Anschauung zu bilden. Wenn ich ihnen sage, glauben sie diesem oder dem anderen, gibt des dann nicht schon einen Guru, dem sie blind folgen sollen? Es ist auf jeden Fall mühsamer, sich selbst ein reifliches Urteil zu bilden, als eine Meinung zu übernehmen, und mit der Fülle der Informationen die es dazu gibt, kann man sich schon überfordert fühlen.
      Es braucht also Unterscheidungskriterien, mit denen der Fragende auf die verschiedenen Darstellungen zugehen kann. Anhand diesen kann er sich dann einen ersten selbstverantworteten Eindruck verschaffen. Beispielsweise kann man sich fragen, wo werde ich mit Schlagwörtern und sogenannten „Frames“ in eine bestimmte „Denkrichtung“ manipuliert und wo erlebe ich eine Darstellung eines Sachverhaltes, den ich nachvollziehen kann und der mich als Betrachter frei lässt?
      Und natürlich kann man auf eine der immer öffentlichen Verantstaltungen fahren, Heinz Grill persönlich kennenlernen und selbst erleben: Bin ich nun in meiner Freiheit und Selbstverantwortung gestärkt oder lebt hier die Manipulation?

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